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Nadya Sayapina: Letter to Mom

Letter to Mom

[english texts and biographies below]

„Vor mir liegt ein weißes Blatt Papier. In mir gibt es viele Worte und Bilder, die ich ausdrücken und in einen Brief verwandeln möchte. Ich möchte so schreiben, dass ich verstanden werde und nichts verzerrt wird.
Aber mehrere Ansichten und Wahrnehmungen können so viele Interpretationen hervorbringen, wie es Leser gibt. Manchmal erschrecke ich bei dem Gedanken, dass meine Worte verdreht werden und andere Menschen verletzen könnten. Aber ich kann nicht auf das Schreiben verzichten, denn Schreiben bedeutet, die Verbindung zu denen, die nicht bei mir sind, nicht zu verlieren, alles herauszulassen, es noch einmal zu erleben und es von außen zu betrachten. Auf einem Blatt Papier kann ich mir zumindest vorstellen, dass ich zurückbekommen habe, was ich verloren habe - mein Zuhause. Ich schreibe meine eigenen Briefe und sammle die Briefe anderer, um sie zu einem langen Archiv verschiedener Erfahrungen und Geschichten zusammenzufügen. Wenn ich darüber nachdenke, warum ich weiter schreibe, wird mir klar, dass ich immer noch auf eine Antwort hoffe.“

Letter to Mom
Nadya Sayapina begann ihr Projekt "Letter to Mom" im Januar 2021 und konnte es und im Rahmen eines Aufenthalts im Mystetskyi Arsenal in Kiew mit Unterstützung des Goethe-Instituts in der Ukraine umsetzen.
"Letter to Mom" befasst sich mit den Geschichten von Menschen, die Belarus dringend verlassen mussten und nun an neuen Orten ihr Leben aufbauen. Es basiert auf dreißig Interviews mit belarusischen Einwanderern, die die Künstlerin über mehrere Monate gesammelt hat. Das Projekt zeigt die emotionale Seite der Erfahrung von Vertreibung: persönliche Gefühle, das Gefühl, die Heimat zu verlieren, Hilflosigkeit und Verwirrung, Angst, Unsicherheit und Schuldgefühle. Die Künstlerin wandte sich Zeichnungen, Performances und Installationen zu, durch die das Publikum die von den Projektteilnehmern erlebten Emotionen nachempfinden und neu erleben konnte.
Die Entwicklung und Rekonstruktion des Projekts in verschiedenen Ländern ermöglicht es uns, das Thema der erzwungenen Migration in einem globaleren Kontext zu behandeln. "Letter to Mom" zeigt einen Blick auf alltägliche und unterschiedliche Dinge, die Migranten durchlebt haben, und versucht hörbar zu machen, was für sie schwer zu artikulieren ist.

Ihr Projekt mit Ausschnitten aus den Interviews dokumentiert Nadya Sayapina auf ihrer eigenen Website: https://lettertomother.com.ua/eng/

"In front of me is a white sheet of paper. There are many words and images inside me that I want to express and turn into a letter. I want to write in such a way that I am understood and nothing is distorted.
But multiple views and perceptions can produce as many interpretations as there are readers. Sometimes I cringe at the thought that my words might be twisted and hurt other people. But I can't give up writing, because writing means not losing the connection with those who are not with me, letting it all out, reliving it and looking at it from the outside. On a piece of paper I can at least imagine that I have got back what I lost - my home. I write my own letters and collect the letters of others to put together a long archive of different experiences and stories. When I think about why I keep writing, I realise I'm still hoping for a response."

Letter to Mom
Nadya Sayapina began her project "Letter to Mom" in January 2021 and was able to realise it and during a residency at the Mystetskyi Arsenal in Kiev with the support of the Goethe-Institut in Ukraine.
"Letter to Mom" deals with the stories of people who urgently had to leave Belarus and are now building their lives in new places. It is based on thirty interviews with Belarusian immigrants that the artist collected over several months. The project shows the emotional side of the experience of displacement: personal feelings, the sense of losing one's home, helplessness and confusion, fear, insecurity and guilt. The artist turned to drawings, performances and installations through which the audience could recreate and re-experience the emotions experienced by the project participants.
The development and reconstruction of the project in different countries allows us to address the issue of forced migration in a more global context. "Letter to Mom" shows a glimpse of everyday and different things that migrants have gone through and tries to make audible what is difficult for them to articulate.

Nadya Sayapina documents her project with excerpts from the interviews on her own website: https://lettertomother.com.ua/eng/

Biografie / Biography

Nadya Sayapina wurde 1989 in Belarus geboren. Sie ist Künstlerin, Autorin von Projekten, Kunstdozentin. In ihrer Arbeit mit Performance, Multimedia, Installationen, Malerei, Texte und Kunsttherapie konzentriert sie sich auf die Vermittlung, in der sie die Chance sieht, die Stimmen der "Anderen" sichtbar zu machen. Ihr Ausgangspunkt sind die persönlichen Geschichten von Angehörigen jener Gemeinschaften, denen sie auf die eine oder andere Weise selbst verbunden ist. Ihre Methoden beziehen sich auf die Praktiken der gemeinschaftsbasierten Kunst und der Aktionskunst, bei denen die Künstler:in die Aufgabe hat, den Stimmen der Ausgeschlossenen Raum zu geben und das Thema mit den Mitteln der Kunst zu beleuchten.
Am 7. September 2020 wurde Nadya Sayapina zu Hause festgenommen und zu 15 Tagen Haft verurteilt, weil sie an einer kollektiven künstlerischen Aktion gegen Gewalt teilgenommen hatte. Im Oktober verließ Sayapina Belarus.

Nadya Sayapina was born in Belarus in 1989. She is an artist, author of projects, art lecturer. In her work with performance, multimedia, installations, painting, texts and art therapy, she focuses on mediation, in which she sees the chance to make the voices of the "others" visible. Her starting point is the personal stories of members of those communities to which she herself is connected in one way or another. Her methods draw on the practices of community-based art and action art, where the artist:in is tasked with giving space to the voices of the excluded and illuminating the issue through the means of art.
On 7 September 2020, Nadya Sayapina was arrested at home and sentenced to 15 days in prison for participating in a collective artistic action against violence. In October, Sayapina left Belarus.

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